Illustratorin Jenny Mörtsell liebt die Imperfektion
Photography: Jenny Mörtsell

In einer medialen Welt, in der uns immer mehr digitale Animationen begegnen, ist es schon langsam etwas Besonderes, eine Illustratorin anzutreffen, die auf ganz klassische Art und Weise Portraits von unglaublicher Präzision entstehen lässt. Die in New York lebende Schwedin Jenny Mörtsell ist ein solches Ausnahmetalent. Mit Bleistift und Papier bringt sie uns die Schönheit des Imperfekten nahe.
Mit dem zeitaufwendigen Zeichnen von Portraits und Stillleben einen Lebensunterhalt zu bestreiten war noch nie einfach. Doch gerade heute, da ein digitaler Filter in Sekundenschnelle aus einem Foto eine Art Zeichnung macht, scheint es fast widersinnig, stattdessen mit Stift und Papier zu Werke zu gehen.
Doch Jenny Mörtsell hat sich trotzdem dafür entschieden, ihre Leidenschaft – das Zeichnen – zu ihrem Beruf zu machen. Während ihres Grafikdesign-Studiums an der Kunsthochschule Konstfack in Stockholm probierte sie viele verschiedene Darstellungsformen, Medien und Genres aus. Doch zum Ende des Studiums war ihr klar: Es musste das Zeichnen sein. Sie zog nach New York und begann zu arbeiten.
Jetzt, 15 Jahre später, zählt die Illustratorin etablierte Modemarken wie Roberto Cavalli oder 3.1. Phillip Lim, aber auch berühmte Publikationen wie das New York Times Magazine oder die Elle UK zu ihren Kunden.
Ihr Geheimnis ist die Leidenschaft für die Details, die ihre Portrait-Motive manchmal vielleicht lieber verbergen würden: »Ich konzentriere mich besonders auf kleine Unregelmäßigkeiten. Zum Beispiel eine unordentlich liegende Haarsträhne, Muttermale, Falten in der Kleidung oder Ähnliches. Solche Dinge erwecken für mich das Bild erst richtig zum Leben.«
Manchmal fällt es Jenny dann auch gar nicht mehr so leicht, den Blick für diese Dinge im Alltag abzuschalten. Auch wenn sie nicht am Zeichentisch sitzt, sondern Menschen persönlich begegnet, passiert es schnell, dass sie sich fragt, wie sie bestimmte Details am besten durch Texturen oder eine bestimmten Linienführung umsetzen würde. »Deshalb fahre ich auch so gern U-Bahn in New York. Hier kann ich ganz ungestört völlig verschiedene Gesichter betrachten und mich fragen, wie ich sie zeichnen würde.«
Gezeichnete Illustrationen brauchen Zeit
Zwischen 3 und 20 Stunden verbringt Jenny mit dem Zeichnen eines Bildes. Dabei beginnt sie die Portraits meist mit der Augenpartie: »Ich möchte so früh wie möglich eine Art Verbindung zu der Person auf dem Blatt herstellen.«
Doch danach taucht sie auch gern wieder in die einzelnen Details von Frisur, Kleidung oder Teint ab. Sie empfindet diese Detail-Arbeit als eine Art meditativen Zustand.
Im Gegensatz zu vielen anderen Künstler*innen ist sich Jenny oft sicher zu spüren, wann eine Illustration wirklich fertig ist. Aber auch sie muss manchmal einen letzten Strich den Deadlines ihrer Auftraggeber*innen opfern und damit leben, dass kleine Änderungen einfach nicht mehr drin waren. Das tut ihren Auftragswerken jedoch offensichtlich keinen Abbruch. Denn Jennys Kundenstamm wächst. Und der Fan-Kreis, der begeistert in den Details ihrer Portraits abtaucht, wächst ebenfalls.Vielleicht hat dazu auch ihre eigene Reihe an schwedischen Briefmarken beigetragen. Für Jenny eines ihrer Lieblingsprojekte. »Es gibt doch nicht Schöneres, als einen Brief mit einer selbst gestalteten Briefmarke versenden zu dürfen.«
Jenny zeichnet also nicht nur mit der Hand, sie verschickt auch Post weiterhin gern analog. Vielleicht sollten auch wir viel öfter echte Briefe schreiben.
Jana Ahrens
Jana Ahrens liebt die Auseinandersetzung mit den Gegenständen und Situationen eines modernen Lebens. Dabei interessiert sich weniger für schöne Dinge, als eher für die Schönheit ihrer Umstände. Zum Schönen gehört natürlich auch, wenn sich komplexe Themen in verständliche Zusammenhänge zerlegen lassen. Im Januar 2018 hat sie die Chefredaktion des Monda Magazins übernommen.
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